„Die Kinder sagen Ja zu diesem Augenblick“

20 Jahre – 20 Menschen: Angela Ortner, Netzwerk & Koordination 

Angela Ortner begleitet seit 20 Jahren die Geschicke der Stiftung AKM, gilt als „Frau der ersten Stunde“. Heute kümmert sie sich vor allem um Familien, die schon lange von uns betreut werden und hält auch Kontakt zu Familien, die nicht mehr bei uns angebunden sind. Außerdem ist sie nach wie vor als leidenschaftliche Netzwerkerin unterwegs. Im Interview erzählt sie von dem Pioniergeist der ersten Jahre, wie ihr Beruf als Architektin sie bei der Kinderhospizarbeit beeinflusst hat und warum sie sich um die Zukunft der Kinderhospizarbeit keine Sorgen macht.

Liebe Angela, du giltst als „AKM-Urgestein“. Nimm uns 20 Jahre mit in die Vergangenheit. Wie hat das alles begonnen?

Angela Ortner: Ich war damals als Ehrenamtliche in der Erwachsenenhospizarbeit bei den Barmherzigen Brüdern tätig. Dort lernte ich Christine Bronner kennen. Die Idee eines ambulanten Kinderhospizdienstes spukte da schon länger in ihrem Kopf herum und eines Tages fragte sie: „Machst du mit?“ Es gab damals keine Anlaufstellen für betroffene Familien und ich stellte daraufhin mir die Frage: „Warum nicht?“ Christine pflegte damals schon einen guten und engen Kontakt zu Kinderärzt*innen und Kliniken, so hatten wir das Klinikum Schwabing mit Prof. Dr. med. Michaela Nathrath und bald auch das Haunersche Kinderspital mit der Onkologin Prof. Dr. med. Monika Führer an unserer Seite. Zunächst agierten wir als unselbständige Stiftung unter dem Dach der Caritas sowie der Björn Schulz Stiftung. Nach zwei Jahren wurde die Stiftung AKM dann selbständig. Beide Institutionen hatten uns gut mit auf den Weg gebracht und unterstützt.

Wie können wir uns das Arbeiten in diesem ersten Jahr der Stiftung AKM vorstellen?

Angela Ortner: Es herrschte große Aufbruchstimmung. Monate vorher haben wir alles geklärt und vorbereitet. Im Oktober 2004 waren wir bereit, den Weg zu gehen. „Wir machen das jetzt“, lautete unsere Devise. Das erste Jahr war besonders prägend. Viele offene Fragen traten auf, wenig Hintergrundwissen war vorhanden und so begann die Pionierarbeit. Wir waren ein sehr kleines Team, jede hat alles gemacht. Unsere feste Anlaufstelle war das Privathaus der Familie Bronner in Inning, die Familien haben wir mit unseren Privatautos aufgesucht – alles auf eigene Kosten.

Kannst du dich noch an die erste Familie erinnern?

Angela Ortner: Das war kurz vor Weihnachten 2004: Es handelte sich um eine nigerianische Familie mit ihrer kleinen, schwerstkranken Tochter. Die Familie wurde aus der Haunerschen Kinderklinik zum Sterben des Kindes zuhause entlassen und hier begann der erste Einsatz des Kinderhospizdienstes. Ich war in der Rolle als Ehrenamtliche über Weihnachten jeden Tag – mit Christine im Hintergrund als Einsatzleitung – vor Ort, um der Familie in dieser schweren Zeit beizustehen. Es war ein sehr intensives Erlebnis, sowohl für die Familie als auch für uns. Dieser Fall zeigte für uns, dass es dringend nötig ist, dass in solch einer Situation jemand zu Hause bei der Familie ist und unterstützt.

Du kommst ursprünglich aus der Erwachsenenhospizarbeit, hast ein Aufbaustudium in Sozialmanagement abgeschlossen und bereits 2005 alle Fortbildungen zur Hospizkoordinatorin absolviert. Welche praktischen Herausforderungen brachte die Umstellung auf die Kinderhospizarbeit mit sich?

Angela Ortner: Die ersten Einsätze habe ich als emotional sehr fordernd empfunden, da wir noch nicht auf Erfahrungswerte in der Arbeit mit Familien mit einem schwerstkranken Kind zurückgreifen konnten. Die Umstellung von der Erwachsenenhospizarbeit zur Kinderhospizarbeit gestaltete sich folglich nicht ganz einfach. Es war eher ein vorsichtiges Hineintasten in das System Familie als eine besondere Lebenswelt mit völlig eigenen Bedürfnissen. In der Erwachsenenhospizarbeit haben wir es in erster Linie mit dem direkt Betroffenen zu tun, bei der Kinderhospizarbeit mit einem Familiensystem, in dem zwar das Kind für uns im Mittelpunkt steht, die Eltern aber durch ihr Vertretungsrecht unsere erste Anlaufstelle sind. Das bringt neue Herausforderungen mit sich.

Wie hat sich die Kinderhospizarbeit im Laufe der Jahre verändert?

Angela Ortner: Die Bedürfnisse sind meiner Meinung nach sehr ähnlich geblieben. Zum Glück haben wir aber im Lauf der Jahre an Sicherheit in unserer Arbeit gewonnen und konnten viele Zusatzangebote schaffen, die die Familien immer besser und umfangreicher unterstützen. Was nach wie vor gilt: Die Ehrenamtlichen sind unser größter Schatz!

So viele Jahre in der Kinderhospizarbeit… was motiviert dich immer aufs Neue, dich für die Kinder und ihre Familien einzusetzen?

Angela Ortner: Nach wie vor bemerkenswert finde ich die Unbeschwertheit der Kinder. Die Momenthaftigkeit, mit der sie ausschließlich im Hier und Jetzt leben, ist für mich faszinierend. Kinder denken selten an die Zukunft, mit dem Begriff können sie wenig anfangen. Sie sagen ja zu diesem Augenblick, zu diesem Leben. Wir Erwachsenen verlieren diese Fähigkeit irgendwann, leider. Sehr nahe geht mir auch noch immer die Offenheit und das große Vertrauen, mit dem Ehren- und Hauptamtliche miteinander umgehen.

Wie gelingt es dir, dich abzugrenzen?

Angela Ortner: In der Anfangszeit war es so, dass ich in schwierigen Situationen einfach funktionierte. Doch nach und nach kam die Fähigkeit der Reflektion und des Nachspürens hinzu. Ich habe gelernt, dass die Situationen, in denen ich unterstütze, nicht meine Situationen sind. Außerdem versuche ich, analytisch zu denken: Was braucht diese Familie, um ihr Leben wieder selbst gestalten zu können? Mein „Helfersyndrom“ ist ein sehr pragmatisches. Wenn ich nicht mehr helfen kann oder an meine Grenzen stoße, gehe ich aus einer Familie heraus.

Hilft dir dabei das analytische Denken der Architektin? Gibt es für dich Parallelen zwischen der Architektur und der Kinderhospizarbeit?

Angela Ortner: Meiner Meinung nach braucht es in beiden Welten den klaren Blick von außen auf eine Situation. Und man muss sich von dem Wunsch nach Perfektion verabschieden. Wenn ich als Architektin den perfekten Entwurf machen möchte, würde ich nie fertig werden, weil mir immer wieder etwas auffällt, das nicht hundertprozentig passt. Die Brille des Anderen aufzusetzen, ist in beiden Bereichen erforderlich. Es geht nicht darum, eigene Wünsche oder Ideen allein zu verfolgen. Die heile, perfekte Welt kann ich auch in der Kinderhospizarbeit nicht herstellen. Ich muss immer mit dem arbeiten, was gerade da ist.

Wie siehst du die Zukunft der Kinderhospizarbeit?

Angela Ortner: Wir werden uns weiter spezialisieren, was auf Grund unserer Größe auch notwendig ist. Als Generalistin ist das für mich ein Lern- und Reifeprozess. Solange Christine Bronner die Geschicke der Stiftung AKM leitet, wird es immer in raschem Tempo weiter vorangehen, denn sie sieht die Bedürfnisse der Familien weit vor anderen und setzt dann alle Hebel in Bewegung, zu helfen. Sie ist eine Antreiberin. Deshalb wird sich auch die Kinderhospizarbeit immer weiterentwickeln.

Ganz lieben Dank, liebe Angela, für die vielen Jahre voller Engagement, Herzblut, Expertise, Pragmatismus, Leidenschaft und vieles, vieles mehr! 

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Katharina Schachtschneider