20 Jahre – 20 Menschen: Florian Karlheim, Psychologe im Bereich Therapeutische Begleitung und Krisenintervention
Florian Karlheim unterstützt seit über vier Jahren als Psychologe das Team der Therapeutischen Begleitung und Krisenintervention. Im Gespräch erzählt er, wie sich seine Arbeit in der Stiftung von seinem zweiten Beruf – der Schauspielerei – unterscheidet, was ihn bewusster leben lässt und was er betroffenen Familien rät: Hilfe annehmen!
Wie bist du zur Stiftung AKM gekommen?
Florian Karlheim: Der erste Kontakt zur Stiftung AKM war vor ungefähr sieben, acht Jahren. Ein Mitarbeitender fragte mich, ob ich als Botschafter für die Stiftung tätig werden möchte. Da war ich gerade noch in meinem Psychologiestudium und konnte mir eher vorstellen, als Psychologe mit einer konkreten Tätigkeit in der Stiftung zu arbeiten und auf diese Weise das AKM zu unterstützen. So sind wir dann zwei Jahre verblieben und nach meinem Studium in Berlin habe ich mich wieder gemeldet. Seitdem arbeite ich hier. Das sind inzwischen viereinhalb Jahre.
Wie eng ist dein Austausch mit den Kolleg*innen innerhalb der Stiftung?
Florian Karlheim: Wir sind immer als Netzwerk in der Familie, das schätze ich in der Stiftung unglaublich: Dass wir immer auch mit den anderen Fachbereichen im Austausch sind. Wir integrieren dann die unterschiedlichen Perspektiven und Aspekte und tragen alle wichtigen Informationen zusammen – so wird ein komplettes Bild daraus. Und so können wir die Familien auch schnell unterstützen. Unsere kurzen Entscheidungswege machen das möglich. Wir haben teilweise Wartezeiten, denn der Bedarf an therapeutischer Begleitung ist in Wirklichkeit viel höher. Umso wichtiger ist es, dass wir schnell reagieren können. Probleme kennen schließlich keinen Kalender.
Wie läuft die Arbeit denn genau ab?
Florian Karlheim: In der Regel besprechen wir uns im Team nach fünf Stunden/Einsätzen und überlegen, was die Familie im weiteren Verlauf benötigt und wünscht. Dann haben wir alle schon einen ganz guten Eindruck bekommen. Es hängt sehr stark davon ab, wie akut die Situation ist. Entweder wir vergrößern den Abstand unserer Einsätze auf alle zwei Wochen oder wir verkürzen – möglicherweise auch auf zweimal pro Woche. Wenn eine langfristige therapeutische Begleitung nötig oder gewünscht ist, vermitteln wir zu ambulanten oder stationären Einrichtungen.
Wie verlief dein allererster Einsatz?
Florian Karlheim: Ich erinnere mich noch sehr genau an die erste Familie, die ich betreut habe. Der Vater litt an einem Hirntumor und es war klar, dass er stirbt. Für ihn war es existentiell, das Verhältnis zu seiner Frau zu klären. Wir waren schließlich zu dritt in dieser Familie tätig: Eine Kollegin war für die Mutter da, ich für den Vater und eine Kollegin für eine der Töchter. Unsere Arbeit lag primär im Bereich der klassischen Paartherapie – bis der Vater verstarb. Dann begann für die Mutter die Trauerarbeit, aber es war alles geklärt. Damals habe ich gemerkt, dass jede Familie ihre eigenen Bedürfnisse hat und ganz individuell ist. Es war schön zu merken, dass wir unsere Arbeit danach richten konnten und nicht nach einem festgeschriebenen Ablauf.
Du hast noch einen zweiten Beruf. Wie organisierst du dich?
Florian Karlheim: Ja, ich bin Schauspieler und drehe noch… selektiv… aber ich habe die Schauspielerei keineswegs an den Nagel gehängt. Zum Glück kenne ich die Drehtermine frühzeitig und kann mich gut organisieren. Es verschafft mir auch eine gewisse Unabhängigkeit und Gelassenheit. Diese Arbeit unterscheidet sich völlig von der therapeutischen Arbeit. Als Schauspieler bist du sehr extrovertiert und die Rolle ist von vorneherein festgelegt – in der Therapie ist es genau das Gegenteil. Da bin ich erst einmal passiv und nehme auf, was mein Gegenüber braucht.
Was war dein größtes Learning, seitdem du für die Stiftung AKM tätig bist?
Florian Karlheim: Ich musste erst einmal Platz und Raum für meine eigene Betroffenheit finden, wenn jemand verstirbt. Das ist ein schwieriger Moment. Man muss ihn erst einmal selbst erkennen und es dann geschehen lassen und dennoch dabei ruhig bleiben. Es kann sein, dass man Tränen in den Augen hat. Aber anschließend muss man zurückkehren in die Rolle des Therapierenden, denn das ist ja die eigentliche Rolle. Man muss sich nicht verstellen, aber das, was man da verspürt, sollte nicht ausagiert werden. Diesen Ebenen muss man sich während des Prozesses bewusst sein und sie kontrollieren können.
Wie gewinnst du Abstand nach solchen intensiven Begegnungen?
Florian Karlheim: Meine eigene Betroffenheit hat nach einem sehr intensiven Einsatz dann Platz im Team, denn wir sind nie allein in einer Familie. Mir helfen die längeren Autofahrten zwischen meinen Einsätzen sehr. Da sind erst einmal Ruhe, Zeit und Raum für mich selbst und meine eigene Reflexion und Selbsthygiene. Das ist ganz wichtig! Die räumliche Distanz zum Einsatzort hilft auch, einen eigenen Abstand zu gewinnen.
Was kannst du betroffenen Familien mit auf den Weg geben?
Florian Karlheim: Es ist wichtig, den ersten Schritt zu machen und Hilfe anzunehmen. Es gibt viele Menschen, die das nicht können. Betroffene möchten oft keine Belastung für andere darstellen oder sein. Da kommen ganz viele Gedanken hoch. Auch die Befürchtung, sich selbst wichtiger zu nehmen oder für andere zum Problem zu werden, nur weil man jetzt erkrankt ist. Das möchten diese Menschen auf keinen Fall. Das ist ein ganz heikler Punkt. Ich habe schon erlebt, dass es einer betroffenen Frau unangenehm war, weil ich extra für sie aus München zu ihr gefahren bin, um mit ihr zu sprechen. Ich konnte sie zum Glück beruhigen und überzeugen, dass wir genau dafür da sind! Viele Betroffene wissen gar nicht, was es alles für Möglichkeiten gibt. Andere kennen den Unterschied zwischen einem Psychologen und einem Psychotherapeuten nicht. Ich kann allen nur raten, alles auszuprobieren, was möglich ist. Ein „Nein“ geht anschließend immer noch.
Was macht die Arbeit in der Stiftung AKM mit dir selbst?
Florian Karlheim: Es hat bestätigt, dass es all die Schicksale gibt, von denen man früher – in jungen Jahren – nur gehört hat. Diese Konfrontation mit der Realität und mit dem Unvorstellbaren hat sicher etwas mit mir gemacht. Bis zu einem gewissen Grad kann man sich Vieles vorstellen, aber dann in der Realität in den Familien zu sein, wenn jemand stirbt, das ist heftig. Seither ist meine Wertschätzung für jeden einzelnen Menschen noch einmal gestiegen. Es hat mich auch demütiger und dankbarer gemacht. Heute denke ich manchmal, was wäre, wenn ich selbst in eine vergleichbare Situation käme? Ich lebe definitiv bewusster. Die schönste Erfahrung ist allerdings, dass wir den Familien wirklich helfen können!