20 Jahre – 20 Menschen: Irmgard Marchfelder
Irmgard Marchfelder ist seit zehn Jahren bei der Stiftung AKM, sieben davon hat sie den Bereich Familienbegleitender Kinderhospizdienst geleitet. Die Sozialpädagogin arbeitete zuvor viele Jahre mit Jugendlichen, u.a. in einer Wohngruppe. Wir wollten von Irmi wissen, was sich seit ihren Anfängen in der Stiftung verändert hat, was für sie besondere Momente ihrer Arbeit sind und wie sie die Zukunft der Kinderhospizarbeit sieht.
Liebe Irmi, du hast den Familienbegleitenden Kinderhospizdienst mit aufgebaut und ihn sieben Jahre geleitet. Wie hat sich deine Arbeit in den vergangenen Jahren verändert?
Irmgard Marchfelder: Als ich die Teamleitung des Kinderhospizdienstes übernommen habe, gab es die verschiedenen Fachbereiche, so wie wir sie heute in der Stiftung AKM haben, noch nicht. Wir waren ein sehr kleines Team, in dem jeder alles gemacht hat. Es war ein Highlight zu sehen, wie wir als Team zusammenarbeiten. Jeder arbeitete selbständig und eigenverantwortlich, aber gleichzeitig herrschte ein Teamspirit, wie ich ihn vorher nicht kannte. „Wir schaffen das, und zwar gemeinsam“ – so lautete das Credo und danach wurde auch gehandelt. Dieser Spirit herrscht noch immer – auch wenn das Team enorm gewachsen ist, immer mehr Aufgaben dazu kamen und sich die fachlichen Bereiche weiter spezialisiert und folgerichtig auch voneinander abgetrennt haben. Dazu kamen in den letzten Jahren die regionalen Zentren – ebenso eine richtige und wichtige Entwicklung. Ich erinnere mich an Touren durchs Umland, bei denen ich frühmorgens gestartet bin und erst spätabends wieder zurück war. Da bleibt viel auf der Strecke – in jeglicher Hinsicht. Der Aufbau der regionalen Zentren, auch in ihrer Form als Abbild der Stiftung AKM in München mit allen Fachbereichen, war für die Versorgung unserer betreuten Familien im ländlichen Umland enorm wichtig.
Vor drei Jahren hast du die Leitung dann auf eigenen Wunsch abgegeben. Warum?
Irmgard Marchfelder: Meine Philosophie war es immer, dass es wichtig ist zu erkennen, wann eine jüngere Generation übernehmen sollte. So entsteht Raum für neue Impulse und neue Ideen. Ich habe mich ganz bewusst entschieden, mich in die hintere Reihe einzugliedern. Seitdem bin ich ein „normales“ Mitglied des Teams Familienbegleitender Kinderhospizdienst. Ich begleite die Familien und kümmere mich um die Schulung der Ehrenamtlichen. Jetzt bin ich wieder näher an den Familien dran, was mir immer sehr wichtig war.
Was macht für dich Kinderhospizarbeit aus?
Irmgard Marchfelder: Zunächst ist es wichtig, dass wir im Ehrenamt sowie im Hauptamt eine möglichst stabile Betreuungssituation haben und damit verlässlich und transparent mit der Familie eruieren, welche Schritte sich anbieten könnten. Die Familien sind verschieden und keine gleicht der anderen. Daher erscheint der Aufbau einer auf Vertrauen basierenden Betreuungsbeziehung nötig, um zu erfahren, wo Sorgen und Nöte sich offenbaren und welche Unterstützung wir anbieten können. Es ist oftmals unerhört schwierig, zugeben zu müssen, dass man es nicht (mehr) allein schafft. Daher ist es aus unserer Sicht wichtig hinzuspüren, ob die Balance von Selbstständigkeit und Unterstützung ins Wanken gerät. Eine schwer fassbare Aufgabe ist für mich: Aushalten, was man nicht verändern kann, und dennoch den Raum (aus)zuhalten, da zu sein, der Begegnung in ihrer Schmerzhaftigkeit nicht ausweichen, auch wenn wir an manchen Stellen einfach nichts „machen“ können.
Gibt es besondere Momente, die dich berührt haben?
Irmgard Marchfelder: Für mich sind es oft die eher „kleinen“, stillen Momente, die mich besonders berühren. Wie die Mama, die mir kürzlich geschrieben hat, dass sie eine gesunde Tochter zur Welt gebracht hat. Ich hatte sie vor einigen Jahren im Zuge ihrer Sternenkind-Geburt (Sternenkinder sind Kinder, die noch vor, während oder kurz nach ihrer Geburt versterben) kennengelernt und begleitet. Dass sie mich jetzt teilhaben lässt an ihrem Glück und sich nochmal für die damalige Betreuung bedankt, zeigt mir, dass die Begleitung Bedeutung hatte und für diese Mutter offenbar sinnvoll und hilfreich war. Oder die andere Mama, deren Baby im Mutterleid gestorben war und ebenfalls um Unterstützung bat. Wir verstanden uns trotz unterschiedlicher Sprache auf einer ganz anderen Ebene. Diese Erfahrung, dass die Sprache des Mitfühlens und „einfach Daseins“ universell ist und jenseits von Worten stattfindet, berührt mich sehr und verweist auf eine tröstliche Verbindung, die auf einer anderen Form von Kommunikation beruht.
Wie siehst du die Zukunft der Kinderhospizarbeit und wo liegen deiner Meinung nach die Herausforderungen?
Irmgard Marchfelder: Eine der ganz großen Herausforderungen sehe ich in der zunehmenden Professionalisierung und Standardisierung. Natürlich brauchen wir gewisse Standards, aber ich sehe es problematisch, unsere Arbeit immer mehr an Leistungskatalogen auszurichten, die gegebenenfalls mit bestimmten Erwartungen und Zielvorgaben einhergehen und danach beurteilt werden. Meiner Meinung nach könnte diese Ausrichtung dazu führen, dass die Hürde für betroffene Familien, sich zu melden, größer wird. Zum anderen gehen Gestaltungsspielräume verloren, die wir bei der individuellen Betreuung der Familien benötigen. Kinderhospizarbeit ist eben kein standardisiertes Abarbeiten von Plänen und Vorgaben. Es ist ein bewusstes Hineinhorchen in die Familie mit ihren ganz eigenen Bedürfnissen. Meine Hoffnung ist, dass die aktuellen Professionalisierungstendenzen das Wesen der Kinderhospizarbeit nicht zu sehr verändern. Arbeiten nach Schema F wird unseren Familien und ihren Schicksalen nicht gerecht.
Wie hältst du schwierige Situationen aus? Was machst du, wenn du einen schweren Tag hattest?
Irmgard Marchfelder: Ich halte nicht viel von der sogenannten „professionellen Distanz“. Denn es ist Nähe und nicht Distanz, was unsere Familien benötigen. Es ist einfach so, dass wir in unserer Arbeit oft schwierige Momente aushalten. Und wenn mir eine Familie oder einzelne Menschen besonders ans Herz gewachsen sind, habe ich vor gewissen Situationen auch Respekt. Aber wenn mich das Schicksal unserer Familien nicht mehr berührt, wäre für mich der Moment gekommen, diese Arbeit aufzugeben. Mir hilft dann am besten: gehen. Auch die räumliche Distanz zwischen dem Büro, den Familien und meinem Zuhause ist mir wichtig. Auf dem Weg, den ich teils mit dem Zug, teils zu Fuß zurücklege, können sich die Gedanken bewegen. In mir löst sich etwas und es „geht“ mir wieder besser.
Wir haben dieses Gespräch unter deinem Lieblingsbaum geführt – einer Linde, unter der eine Bank steht. Was verbindest du damit?
Irmgard Marchfelder: In vielen kleineren Orten gibt es auch heute noch eine Linde mit einer Bank darunter – ein Ort, an dem die Menschen sich treffen und – egal, wie einem das Leben gerade mitspielt – miteinander reden und sich austauschen. Ich habe da die Zeile des Liedes im Ohr, in der es heißt: „Wo wir uns finden, wohl unter Linden, zur Abendzeit, Abendzeit…“
Danke, liebe Irmi, für das offene Gespräch und all dein Engagement in den letzten Jahren!