20 Jahre – 20 Menschen: Katharina Schachtschneider, Abteilungsleitung Therapeutische Begleitung
Katharina Schachtschneider leitet die Abteilung Therapeutische Begleitung im Fachbereich Therapeutische Begleitung und Krisenintervention. Im Gespräch erzählt sie, wie die Themen Tod und Trauer ihren Berufsweg beeinflusst haben und welche Abschiedsrituale ihr persönlich helfen. Und dass es auch manchmal guttut, einfach traurig zu sein und zu weinen.
Liebe Katharina, wie bist du zur Stiftung AKM gekommen und wie ist dein beruflicher Werdegang?
Katharina Schachtschneider: Ich habe Psychologie in Konstanz studiert und bin als Psychologin in die Stiftung eingestiegen. Neben meiner psychologischen Arbeit mit den Familien leitete ich den Krisendienst RUF24 vier Jahr lang. Während meiner ersten Jahre in der Stiftung habe ich eine Ausbildung zur Systemischen Beraterin gemacht. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich mich zusätzlich auch psychotherapeutisch weiterbilden möchte. Deshalb habe ich mich entschlossen, eine Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin zu machen. Um die ersten Ausbildungsschritte zu absolvieren, konnte ich meine Arbeitszeit reduzieren und habe meine praktische Ausbildung in einer psychiatrischen Klinik gemacht. Seit diesem Sommer habe ich nun die Abteilungsleitung der Therapeutischen Begleitung (TB) der Stiftung AKM inne. Die psychologischen und therapeutischen Fachkräfte der TB leisten bei Bedarf aufsuchende Arbeit mit den Familienmitgliedern als Ergänzungsangebot zu den anderen familiennahen Diensten der Stiftung. Das darf ich organisieren und natürlich selbst auch tätig werden.
Wie bist du auf die Kinderhospizarbeit aufmerksam geworden?
Katharina Schachtschneider: Ich habe als Jugendliche eine Dokumentation über das Kinderhospiz Sternenbrücke in Hamburg gesehen und dann war das Thema einfach da für mich… ja, seitdem begleitet es mich. Auch während der Schulzeit habe ich mich damit beschäftigt. Meine Schule hatte das Unterrichtsfach „Freies Lernen“. In diesem Fach konnten wir uns Projekte aussuchen, an denen wir selbstorganisiert gearbeitet haben. In diesem Rahmen habe ich dazu recherchiert, wie Kinder dem Tod begegnen. Begleitend zu meiner Präsentation habe ich damals einen Trauerkoffer entworfen.
Was war denn der Inhalt des Trauerkoffers?
Katharina Schachtschneider: Also ich war 15… (lacht) Da war eine Kerze drin, die ich selbst gestaltet habe. Oben war sie dunkel und nach unten hin wurde sie immer heller. Das sollte den Trauerverlauf darstellen und wie mit Zeit zunehmend wieder mehr Licht ins Leben kommt. Es waren Blumensamen im Koffer, die das Werden und Vergehen symbolisieren sollten. Zusätzlich lagen Zettel mit unterschiedlichen Zitaten im Koffer, die Trost spenden können. Und schließlich ein Trauerbuch, das Betroffene durch die Trauer begleitet sollte. Dort konnte man Erinnerungen aufschreiben oder seine eigenen Gefühle notieren.
Hattest du mit 15 Jahren schon Erfahrungen mit dem Sterben gemacht?
Katharina Schachtschneider: In meiner Familie war das Thema Tod nie ein Tabuthema. Meine Eltern kommen ursprünglich aus dem Pflegebereich, auch wenn sie heute in anderen Bereichen arbeiten. Ich habe früh meine Großeltern verloren und ich war schon als Kindergartenkind auf Beerdigungen dabei. Das war für meine Familie völlig normal. Deshalb habe ich kein ängstliches Verhältnis zum Thema Tod. Und für Menschen und Geschichten habe ich mich schon immer interessiert. Schon als kleines Kind habe ich immer gerne irgendwo gesessen und einfach zugehört. Das ist auch heute noch so und immer wieder mein eigener Antrieb.
War dir damals schon klar, dass das mal dein Beruf wird?
Katharina Schachtschneider: Eine klare Vorstellung hatte ich nicht wirklich. Ich hatte immer Interesse an der Arbeit mit Menschen, aber auch an Naturwissenschaften. Nach meinem FSJ war es dann eine Bauchentscheidung für die Psychologie. Ich hatte während meines Studiums immer eine vage Vorstellung, dass ich im Bereich Kinderpalliativversorgung arbeiten möchte und deshalb auch ein Praktikum auf einer Kinderpalliativstation gemacht. Schnell habe ich bemerkt, dass es für Psycholog*innen gar nicht so leicht ist, eine Stelle in diesem Bereich zu finden, weil diese Stellen in der Kinderhospizarbeit so nicht vorgesehen sind und von den Kassen nicht finanziert werden. Durch einen Zufall habe ich von der Stiftung AKM gehört und davon, dass dort Psycholog*innen über Spenden finanziert arbeiten können, weil der große Bedarf hier sehr ernst genommen wird. Daraufhin habe ich mich initiativ beworben und ich hatte Erfolg. Das war im Januar 2019.
Zu Beginn habe ich den Krisendienst RUF24 geleitet und habe das Ehrenamt in diesem Bereich aufgebaut. Die Kombination meiner Aufgaben war super. Einerseits konnte ich die Leitungsaufgabe ausführen, die mit der Arbeit mit einem ehren- und hauptamtlichen Team, den Krisenbegleiter*innenschulungen und der Krisenintervention selbst allein schon sehr vielfältig ist. Und gleichzeitig hatte ich über die TB immer direkten und zum Teil auch längerfristigen Kontakt zu den Familien.
Für RUF24 bin ich seit meinem Stellenwechsel aktuell nur noch im Hintergrunddienst tätig. Meine Aufgabe dabei ist es, die haupt- und ehrenamtlichen Krisenbegleiter*innen zu beraten, ihre Einsätze gemeinsam vorzubesprechen und während des Einsatzes – für Fragen oder bei Unsicherheiten – erreichbar zu sein. Im Anschluss an einen Einsatz findet dann ein Gespräch zur Reflexion statt.
Vor welchen Herausforderungen steht ihr mitunter?
Katharina Schachtschneider: Uns ist es in der Therapeutischen Begleitung sehr wichtig, für die Personen aus der Familie jeweils passende Kolleg*innen auszuwählen, die dem Anliegen der Person(en) gerecht werden. Das ist mitunter nicht ganz einfach, da die Stiftung ein wirklich großes Einzugsgebiet hat und dann lange Fahrtwege auf die Kolleg*innen zukommen können. Wir prüfen natürlich auch, ob wir wirklich die richtigen Ansprechpartner*innen sind. Manchmal zeigt sich im Laufe der Gespräche nämlich, dass unser Angebot nicht ausreicht und eigentlich eine ambulante Psychotherapie der richtige Weg für das Familienmitglied ist. Dann schaffen wir die Verbindung hin in eine Praxis. Das kann eine Herausforderung sein, weil Psychotherapieplätze aktuell rar sind.
Für den Krisendienst RUF24 war es zu Beginn gar nicht so leicht, die 24 Stunden Einsatzbereitschaft vorzuhalten. Es gab Anfang 2019 nur fünf ehrenamtliche Krisenbegleiter*innen – heute sind es um die 40. Wir haben seither die Abläufe kontinuierlich professionalisiert und sind inzwischen super aufgestellt. Und Corona war eine riesige Herausforderung. Als klar wurde, welche Dimension die Pandemie annehmen wird, haben wir alle Mitarbeiter*innen, auch die Ehrenamtlichen, mit Schutzanzügen, Masken, Brillen und Handschuhen versorgt. In erster Linie haben wir dann allerdings telefonische Beratungen durchgeführt, aber wenn es dennoch nötig war, sind wir auch weiter zu den Familien gefahren.
Inzwischen leitest du die Abteilung Therapeutische Begleitung. Was macht diese Abteilung für dich so spannend?
Katharina Schachtschneider: Wir haben in der Therapeutischen Begleitung viele Kolleg*innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Manche haben eine systemische Ausbildung, andere sind Gestalttherapeut*innen oder sind Sozialarbeiter*innen mit einer therapeutischen Weiterbildung, dann wieder gibt es Analytiker*innen, Verhaltenstherapeut*innen oder Suchttherapeut*innen. Es ist für mich sehr bereichernd, wenn wir uns in Fallbesprechungen mit unseren unterschiedlichen Blickwinkeln austauschen können. Unsere Arbeit ist genauso individuell, wie unsere es Familien sind. Auch das macht es spannend! Es gibt Familien, die nur wenige Termine benötigen und dann passt es für sie und andere, die wir länger begleiten – zum Teil auch jahrelang. Das hängt sehr davon ab, wie eine Familie aufgestellt ist und ob es im Umfeld ein funktionierendes soziales Netz gibt. Ich mag an der therapeutischen Arbeit im hospizlichen Setting, dass wir allen Themen des Lebens begegnen und darüber hinaus.
Wie verarbeitest du selbst die Begegnungen und Themen, mit denen du täglich konfrontiert bist?
Katharina Schachtschneider: Unmittelbar nach einem Kriseneinsatz oder einem belastenden Besuch bei einer Familie ist Spazierengehen meine erste Wahl. Darüber hinaus praktiziere ich Yoga oder fahre Fahrrad und höre Musik, wodurch ich gut abschalten kann. Und ich spreche natürlich viel mit meinen Kolleg*innen – das tut mir extrem gut. Wenn ich mich von einer verstorbenen Person verabschieden möchte, habe ich ein Ritual. Ich zünde eine Kerze an, die ich dann ganz bewusst wieder auspuste. Mir hilft das, um auch meinen eigenen Abschied zu gestalten.
Ich erinnere mich auch daran, dass eine von mir begleitete Mama einige Monate nach dem Versterben ihres Säuglings unmittelbar nach der Geburt mit anderen betroffenen Eltern einen Sternenkinder-Baum in München aufgestellt hat. Diesen habe ich auch besucht und dort Sterne aufgehangen für die früh verstorbenen Kinder, deren Eltern ich begleiten durfte. Manchmal braucht es ein Ritual, um Dinge zu verarbeiten, für die man nur schwer Worte findet.
Und manchmal tut es aber auch gut, kurz traurig zu sein, vielleicht zu weinen… und dann wieder loszulassen. Kinderhospizarbeit oder die Begleitung von Familien in der Kinderhospizarbeit ist sehr berührend. Es kommen alle Themen hoch, die im Leben eine Rolle spielen. Die Arbeit ist einfach sehr lebendig… und wir begegnen nicht nur dem Tod, sondern vor allem dem Leben!