Trittsteine auf dem Weg durch die Angst
Am 8. November ist der Welttag für Kinder krebskranker Eltern. Der Tag soll daran erinnern, dass durch eine schlimme Krebsdiagnose bei den Eltern die gesamte Familie aus den Fugen gerät. Die Eltern stehen vor schwierigen Fragen wie etwa „Wann und wie sagen wir es unserem Kind“? Eltern und Kinder machen sich gleichermaßen große Sorgen und finden für ihren Kummer oft nicht einmal Worte. Genau dann sind wir da – die Stiftung AKM unterstützt diese Familien auf ihrem Weg, ganz individuell und solange sie es möchten. Zum Welttag hat uns Theresas Mama, die an einem Hirntumor leidet, erzählt, wie ihre Familie mit der Diagnose umgeht und wie ihr die Stiftung AKM dabei hilft.
Von der Reise der Seele nach dem Tod eines Menschen hat Theresa (Namen geändert) ihre ganz eigene Theorie: „Wenn ein Mensch stirbt, kommt die Seele in einen kleinen Korb. Aus dem Himmel kommt ein Engel, der den Korb dann abholt und mit ihm zum Himmel fliegt. Manchmal gibt es auch freche Seelen, die aus dem Korb hüpfen wollen. Dafür gibt es einen Deckel, den der Engel auf den Korb drücken kann. Im Himmel angekommen liefert der Engel die Seele bei Gott ab, der diese dann auch in einen Engel verwandelt.“ Die Seele des Menschen hat seit der Diagnose der Krebserkrankung ihrer Mutter einen besonderen Stellenwert in der Gedankenwelt von Theresa (6) und Lukas (4). Regelmäßig hadern die Kinder im Gespräch mit ihren Eltern Johanna und Andreas mit der Tatsache, dass auch diese für die Unsichtbarkeit der Seele keine Erklärung geben können.
Für die Kinder ist die Trennung zwischen Körper und Seele zwar nachvollziehbar, aber eben nicht sichtbar. „Die Seele dabei als Sammlung aus Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse oder schöne Gefühle zu betrachten und zu kommunizieren, um zu diesen eine Verbindung halten zu können, kann eine kindgerechte Erläuterung dieser komplexen Fragestellung bedeuten“, schlägt AKM-Kinderhospizfachkraft Katharina Deeg im Gespräch mit der krebskranken Mutter vor. „Einen inneren Ort der Verbindung zu finden, ist ein schönes gemeinsames Ritual mit den Kindern.“ Für derartige Tipps ist Johanna stets dankbar: Schließlich bemerkt sie als Mutter, dass diese Themen insbesondere das Denken von Theresa bestimmen und die Vorschülerin beschäftigen.
Geplättet vom kindlichen Realismus
Im Speziellen konfrontiert wurde die gesamte Familie im Rahmen eines Trauerfalls im näheren Umfeld, der ob der eigenen Krebserkrankung auch für Mutter Johanna eine enorme emotionale Belastung verhieß. In diesem Zusammenhang beobachtete Johanna auch ein abendliches Gespräch ihrer beiden Kinder über das Mitbekommene des Tages, das ihr Herz zersplittern ließ. „Der lustige Onkel hatte Krebs im Bauch und ist daran gestorben. Mama hat auch Krebs, aber im Kopf. Daran kann sie auch sterben, aber noch nicht jetzt. Wenn Mama nicht mehr da ist, haben wir immer noch Papa, Oma, Opa, Tante und Onkel.“, erklärte Theresa mit beeindruckendem Realismus die Situation ihrem kleinen Bruder Lukas. Ihre Mutter blieb emotionalisiert und doch von der Weitsicht ihrer Kinder geplättet zurück. Dieser Blick auf die derzeitigen Lebensumstände hatte jedoch auch eine enorme Wandlung unternommen: Aus einem „wir haben dann nur noch…“ entwickelte sich nun ein „wir haben trotzdem noch…“ – eine Erkenntnis ihrer Kinder, auf die Johanna stolz zurückblickt.
Auch hinsichtlich der darauffolgenden Beerdigung des lustigen Onkels – wie der Verstorbene in der Familie genannt wurde – war es Johanna ein großes Anliegen, ihre Kinder bestmöglich auf die Situation vorzubereiten. Dass die emotionale Überforderung im Laufe der Beisetzung auch bei der krebskranken Mutter ankam, „dürfen auch die Kinder mitbekommen“, erläutert Johanna und erfährt Zuspruch von Katharina Deeg. Ein für alle Beteiligten tröstendes Bild lieferte dabei der vierjährige Lukas und stellte fest, dass der lustige Onkel künftig dem Christkind an Weihnachten helfen könne, den Baum festlich zu schmücken.
Gummibärchen für die tapfere Mutter
Dieser Pragmatismus des Vierjährigen äußert sich auch in der Begleitung des Krankheitsverlaufes seiner Mutter regelmäßig. „Warst du beim Blutabnehmen tapfer? Hast du Gummibärchen bekommen, weil du so tapfer warst?“, versinnbildlicht als Frage die kindliche Annahme der Krebserkrankung als neuer Familienalltag und die Sorge um das Wohlergehen der Mutter gleichermaßen. So ist auch die Vertrauenswürdigkeit und Freundlichkeit der Taxifahrer, die Johanna zu ihren Arztterminen bringen, im stetigen Interesse beider Kinder.
Doch gibt es im Alltag der jungen vierköpfigen Familie auch Themen, die Johanna und Andreas ihren Kindern bewusst vorenthalten. Um keine zusätzlichen Ängste zu schüren, wurden die Kinder beispielsweise nicht über die Eventualitäten der Operation am Gehirn aufgeklärt. Dennoch war es für die Eltern ab der Diagnose von großer Bedeutung, ihre Kinder auf dem Weg der Erkrankung mitzunehmen, auch wenn Erschütterung und das Unbekannte enorme Unsicherheiten auslösten. „Der Weg ist aber definitiv zu lang, um die Kinder nicht einzubeziehen. Ich weiß nicht, wie ich das verstecken könnte“, steht für die junge Mutter fest. „Kinder haben riesige Antennen für derartige Stresssituationen und spüren sehr schnell Anspannungen der Eltern“, weiß die erfahrene Kinderhospizfachkraft Katharina Deeg. „Frühzeitig wichtige Trittsteine für die Kinder zu setzen, kindgerechte Worte für das Geschehen zu finden und vor allem eine tragende Verbindung zu den Kindern zu halten, gibt Sicherheit und Orientierung, die insbesondere in schwierigen und schmerzlichen Zeiten von großer Bedeutung ist“, berichtet diese weiter. Die Übersetzung der jeweiligen Gegebenheiten in kindgerechte Informationen klappt dabei dank professioneller Tipps der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM).
Kinder in ständiger Wachsamkeit
Johanna stellt immer wieder schmerzlich fest, dass ihre Kinder in diesem neuen Alltag einen Weg finden müssen. Auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, ist dabei keineswegs möglich, für Tochter Theresa ist es aber beispielsweise wichtig, bei plötzlich auftretenden Krampfanfällen der Mutter Handlungssicherheit zu bewahren. Die Sechsjährige weiß mittlerweile sehr routiniert, wie sie ihrer Mutter helfen, was sie als Kind übernehmen kann und was eben auch nicht. Ein Kissen unter den Kopf ihrer Mutter zu legen und der schnelle Gang zu den Nachbarn sind eingeübt. Zudem weiß sich Theresa auch über das Telefon Hilfe zu rufen.
Aufgrund dessen fühlt sich Johanna teils aber auch schuldig: Schließlich entwickelten ihre Kinder in den vergangenen Monaten des Krankheitsprozesses ein enormes Verantwortungsgefühl. Bei den geringsten Anzeichen eines unnatürlichen Zitterns fragt Theresa nach dem Wohlbefinden ihrer Mutter und ist so augenscheinlich in einer ständigen „Hab-Acht-Stellung“. „Das sollte nicht Aufgabe der Kinder sein, dennoch sind sie mit diesem ‚Alltag‘ konfrontiert“, hadert Johanna. Katharina Deeg bestärkt die Mutter, da sie derartige Situationen sehr achtsam mit den Kindern vorbereitet und die Rollenverteilung zwischen den Aufgaben der Erwachsenen und denen der Kinder sehr gut vermittelt.
„Mama braucht Ruhe“
Das Bewusstsein der Kinder für den gesundheitlichen Zustand ihrer Mutter äußert sich aber auch im Wissen, dass Johanna nach ihrer Chemotherapie außer Gefecht ist und entsprechend Ruhe benötigt. Darüber spricht Tochter Theresa auch offen mit ihren Freund*innen und lädt daher nur wenige Kinder ins Haus der Familie ein. Realität und Alltag der Kinder haben sich verändert, wenngleich Theresa teils auch genervt ob der körperlichen Konstitution ihrer Mutter reagiert. Insbesondere beim Vorlesen, das Johanna aufgrund ihres Gehirntumors sehr schwerfällt und so nur langsam von statten gehen kann, äußert die Sechsjährige ihren Unmut. Viele dieser Aufgaben nehmen in der Folge Vater Andreas und die Haushaltshilfe der Familie wahr.
Als helfendes Ohr essenziell erweist sich im Krankheitsprozess jedoch immer wieder die Erfahrung von Kinderhospizfachkraft Katharina Deeg. Insbesondere kindgerechte Formulierungen im veränderten Alltag der Familie zu finden, fiele Mutter Johanna ohne Unterstützung durch die Stiftung AKM schwer. „Es gibt keine Fragen, die nicht beantwortet werden können. Das Feedback von Katharina Deeg hilft mir, mit weniger Sorgen und Ängsten an die Kommunikation meiner Erkrankung zu gehen. Was mir unglaublich hilft ist die Erklärung, dass meine Kinder nicht krank oder für immer traumatisiert sein müssen, wenn ein Elternteil verstirbt. Dass eine tiefe Narbe entsteht, ist völlig richtig – aber diese Narbe darf auch bleiben. Mal schmerzt sie mehr, mal weniger. Die notwendigen Trittsteine kann Katharina Deeg mit ihrer Begleitung setzen. Das nimmt mir viele Ängste. Ihre Stabilität schenkt mir große Sicherheit“, bedankt sich Johanna abschließend.