„Wird zuerst hart sein – dann muss man sich daran gewöhnen.“

Martina und Silas erzählen ihre Geschichte – und wie die Stiftung AKM Familien mit erkrankten Elternteilen unterstützt

Die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) unterstützt – obwohl man das nicht gleich vermuten mag – neben Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch Familien, in denen ein Elternteil minderjähriger Kinder lebensbedrohlich oder lebensverkürzend erkrankt ist. So auch Martina (39) und ihren 14-jährigen Sohn Silas.

Martina ist eine große, schlanke Frau, frühlingshaft frisch mit einem Lächeln im Gesicht. Man sieht ihr die schwere Krankheit auf den ersten Blick nicht an. Doch manchmal geht es nicht mehr ohne Gehstock oder Rollator – die Schmerzen nehmen zu. Am Hals trägt sie einige Kettchen. Sie zeigt auf einen Anhänger, auf den ihre Lieblingsaffirmation graviert ist: „Das Gute sehen“. Denn es gebe genügend schöne Momente, wofür es sich noch zu leben lohne.

Obwohl, oder vielleicht auch, weil die alleinerziehende Mutter an einer unheilbaren Krebserkrankung leidet, scherzen die zwei über Dinge, über die man üblicherweise nur weinen kann. „Ich hätte schon genug Familien, die dich adoptieren würden!“… „Da will ich aber auch mitreden bitte, Mama!“

Alltagsprobleme bleiben trotzdem

Die Krankheit wurde 2018 das erste Mal diagnostiziert: Martina erinnert sich genau, sie hatte den Anruf am Waffelstand von Legoland bekommen – Diagnose Brustkrebs. Es sei ein totaler Schock gewesen, denn bisher hatte es keinen Brustkrebs in ihrer Familie gegeben. Auch gab es keine der typischen Vorzeichen, keine erkennbaren Symptome wie Ausfluss oder Hautausschläge. Dreimal musste sie operiert werden, weil sie nach der ersten OP auch noch mit schlimmen Wundheilstörungen zu kämpfen hatte. 2020, bei der letzten dieser Operationen, dann der Zufallsfund: Jetzt musste auch die zweite Brust entfernt werden. Seit Herbst 2022 haben die Metastasen gestreut und seit Februar, so Martina, „geht’s bergab“. Auch die Schmerzen werden immer schlimmer. „Doch die stärksten Schmerzmittel hebe ich mir noch ein bisschen auf“, sagt Martina tapfer.

Zunächst gab es viele Unklarheiten: Stimmt die Histologie, wie schlimm ist es? Und sie hat sich immer gefragt: Wie mache ich das? Vor allem mit Silas? Sie wollte die Krankheit von Anfang an nicht ihr Leben bestimmen lassen, doch das war nicht so einfach: unzählige Termine, CT, MRT, Chemo, Bestrahlung, alle möglichen Therapien. Und dann musste sie sich ja auch noch um ihren jungen Sohn, die Schularbeiten und den Haushalt kümmern: „Die Alltagsprobleme hören ja nicht nach einer Krebsdiagnose auf“. Um die 140 Bestrahlungen musste Martina in den letzten Jahren mitmachen. Dazu kommen Gefühlsstörungen und Nervenschwächen: Mal kann sie ihren Fuß nicht bewegen, mal hat sie mit dem Raynaud-Syndrom zu kämpfen – ihre Hände werden kalt und blass, taub und schmerzen. Ob krebsbedingt oder Nebenwirkungen der Medikamente: die Leiden, zusätzlich zur eigentlichen Krankheit, kommen oft unerwartet und treffen sie meist hart.

Ablenkungs- und Verdrängungstherapie

Trotz dieser Umstände macht Martina wahnsinnig viel: Mehr als die meisten gesunden Mütter stemmen! Außerdem ist ihr Aufgeschlossenheit bezüglich ihrer Erkrankung extrem wichtig: „Man muss mit seinem Umfeld offen sein. Wenn Fragen kommen, muss man sie offen beantworten. Dann haben Menschen auch weniger Berührungsängste.“

So engagiert sie sich zum Beispiel intensiv im örtlichen American Footballclub „Fursty Razorbacks“, wo sie drei Gruppen (U 11, U13 und Ballschule) betreut. Auch Silas ist Teammitglied der U16 – mit viel Erfolg, worauf seine Mutter sehr stolz ist. Sie hat sich vorgenommen, die diesjährige Weihnachtsparty des Sportvereins zu organisieren: „Das ist meine Verdrängungstherapie: immer beschäftigt sein. Trotz der Krankheit beschäftigt sein…“. Denn: „Man muss ja trotzdem aufstehen. Man muss ja trotzdem die Rechnungen zahlen. Man muss einfach mit der Krankheit leben lernen – egal wie lang es noch geht.“ Der Sportverein gibt Halt und ist wie eine Familie für Martina und Silas. „Da kann ich abschalten: Das ist keine Arbeit, keine Krankheit: nur Football“. Und dann wieder dieser Humor: „Ich hoffe doch stark, dass ich auf die Tafel der Unvergessenen komme!“ – eine Erinnerungstafel, worauf man die Namen ehemaliger oder verstorbener Clubmitglieder findet.

Außerdem arbeitet sie auch noch in Teilzeit im Kindergarten. Sie kümmert sich unter anderem um die Inklusionsgruppe. Die Gruppe, in der oft die größten Herausforderungen lauern. Aber Martina mag das so. Sie ist immer für alle da, sorgt sich um jeden, eine Altruistin erster Güte. In Football-Verein und Kindergarten werde sie geschätzt – und das tue ihr gut. Auch ihren Kater Garfield haben Martina und Silas adoptiert, trotzdem (oder weil) er an einer Futterunverträglichkeit leidet und viel extra Zuwendung benötigt.

Silas ist eine Stütze

Martinas Hilfsbereitschaft färbt offensichtlich auf den Sohn ab: „Silas kümmert sich immer um alle.“ Alexandra Keller, Fachkraft für Kinderhospizarbeit bei der Stiftung AKM, unterstützt die zwei seit vielen Jahren: „Silas ist eine extrem gute Stütze für seine Mutter“. Er sei, trotz seiner großen Sorgen, sehr besonnen und vernünftig für sein Alter. Ein Fels in der Brandung.

Was würde Silas anderen Kindern oder Jugendlichen sagen, wenn eines ihrer Elternteile so schwer erkrankt? „Wird zuerst ein harter Hit sein – dann muss man sich einfach dran gewöhnen“. Ein Teenager, der viel versteht…realistisch und bodenständig, wie seine Mutter.

Sein größter Traum ist ein Highschool-Jahr in Canada – dieses Land würde er gerne besser kennenlernen. Doch seine große Sorge dabei: Was ist, wenn die Mutter genau in diesem Jahr stirbt? Seine Ängste kann ihm niemand nehmen, niemand kann sagen: Mach‘ dir keine Sorgen, es wird schon wieder. Als er klein war und seine Mutter ihm von ihrer Krankheit erzählte, war seine erste Frage: „Musst du sterben?“ Keine einfache Frage an die kranke Mutter, aber: Jeder müsse sterben – sie nur vielleicht ein bisschen früher als geplant.

So hilft die Stiftung AKM

Als Martina die Krebsdiagnose erhielt, machte sie sich zunächst Gedanken um Silas‘ Wohlergehen: Wie kann man sich vernetzen? Dass sie sich beide, Mutter und Sohn, mit Menschen austauschen können, die Ähnliches durchleben? Wo können sie Unterstützung finden? Das Ausmaß an „Papierkram“ ist überfordernd, die emotionale Last erdrückend. Martina hat viel gegoogelt damals, hat nach Gruppen gesucht, nach Netzwerken. „Manchmal hat was ein bisschen gepasst – aber diese Angebote waren immer in München!“ erinnert sich Martina, „In der Region war wenig zu finden, und mit einem kleinen Jungen und mitten in der ersten akuten Krebstherapie kann man von hier aus nicht einfach so nach München fahren!“ Oft ist Martina in dieser Zeit schlecht von der Chemo, nach den vielen Operationen muss sie oft zur Nachsorgeterminen. Man muss sich an viel Neues gewöhnen: Krankenhäuser, Ärzte und die Krankenkasse stellten sie oft vor neue Herausforderungen.

Zum Glück machte ihre damalige Onkologin Martina auf die Stiftung AKM aufmerksam. Die Stiftung unterstützt, besonders in Hinblick auf das Wohl der Kinder, Familien, in denen ein Elternteil, so wie Martina, schwersterkrankt ist. Hier gilt es dabei zu helfen, den Alltag der Kinder zu stabilisieren, ihnen einen gewissen Halt und Hoffnung zu geben. Und hin und wieder eine Freude zu machen. Das kann die Stiftung AKM gut, sie blickt auf 20 Jahre Erfahrung zurück. Zudem sind die Angebote des AKM-Zentrums Südwestoberbayern (mit Sitz in Inning am Ammersee) für Martina besser erreichbar, die unterstützenden Mitarbeiter*innen sind aus der Region und kennen sich entsprechend aus. So war die Angehörigenberatung schnell in der Lage, Martina mit der Flut an Formalitäten zu unterstützen, und schon bald war Alexandra Keller vom Team der Kinderhospizarbeit ein Teil der Familie.

„Den Hans dürfen sie uns nicht mehr nehmen!“

Unter anderem fand und schulte sie den ehrenamtlichen Familienbegleiter Hans: „Er passte wie die Faust auf’s Auge“. Seit sechs Jahren kommt er nun jede Woche zu Besuch und macht vor allem viel mit Silas: Manchmal Hausaufgaben, dann gehen sie zusammen ins Schwimmbad oder in die Kletterhalle. Martina war von Anfang an begeistert: „Den Hans dürfen sie uns nicht mehr nehmen!“. Laut Silas seien mit Hans die Sorgen einfach ein bisschen weggegangen. „Wenn der Hans da ist, sprechen wir halt einfach – ungezwungen. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass ich jemanden hab“. „Während Corona haben sich Silas und Hans Briefe geschrieben. Mit dem Witz des Tages – da braucht man keine Therapie mehr“, erzählt Martina. Der Ehrenamtliche nehme einfach „viel ab“. Hans selbst bezeichnet seine Beziehung zu der Familie als „innig“. Nach den vielen Jahren betrachte er das nicht mehr als Ehrenamt, sondern als Freundschaft. Manchmal sei er einfach da und rede mit dem Jungen. „Bei mir muss sich Silas nicht verstellen, er kann sein, wie er ist und kann alles abladen bei mir“.

Auch die Angebote der Teilhabeorientierten Nachsorge der Stiftung AKM werden von der kleinen Familie gerne und regelmäßig angenommen: Alpacca-Wandern, Eishockey schauen, Familienbrunch – und immer sind andere Familien dabei, die wissen, wie es sich anfühlt…das mache einen großen Unterschied. Und die Stiftung AKM hat auch bei der Erfüllung eines großen „Herzenswunsches“ geholfen: Die große gemeinsame Reise nach Amerika, drei Wochen, von San Francisco nach New York. Es sei wahnsinnig anstrengend gewesen, Martina musste recht tapfer sein. Aber eine lebenslange Erinnerung wurde geschaffen, die Silas nie vergessen wird.

Martina sieht ihren Sohn liebevoll an, er ist stark und gibt ihr von seiner Stärke ab. „Ich wünsche mir, dass Silas, wenn ich nicht mehr da sein kann, sein Leben lebt, dass er seine Ziele verfolgt und dass er sich seine Wünsche erfüllen kann“. Das wünschen wir uns auch.

Martina_Silas
Martina (Mitte) mit ihrem Sohn Silas (rechts) und Alexandra Keller, Fachkraft für Kinderhospizarbeit bei der Stiftung AKM (links).
Silas & Hans
Silas mit dem ehrenamtlichen Familienbegleiter Hans (links).
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