„Das Leben so normal wie möglich leben“

Interview mit Prof. Dr. Michaela Nathrath anlässlich des Bewusstseinsmonats für an Krebs erkrankte Kinder

Anlässlich des internationalen Bewusstseinsmonats für an Krebs erkrankte Kinder („Childhood Cancer Awareness Month“) im September sprachen wir mit Prof. Dr. Michaela Nathrath, Direktorin der Klinik für Pädiatrische Hämato-Onkologie, Psychosomatik und Systemerkrankungen am Klinikum Kassel und Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung AKM. Im Interview zeigt sie sich erfreut über großartige Erfolge in der Behandlung von Kinderkrebserkrankungen und besorgt über den Pflegenotstand. Betroffenen Familien rät sie, optimistisch zu bleiben.

Was bedeutet der internationale Bewusstseinsmonat für Kinderkrebs für Sie persönlich und Ihre Organisation?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Wie der Name schon sagt: Dieser Monat ist wichtig, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Krebs auch Kinder und Jugendliche betreffen kann, dann aber oftmals eine ganz andere, viel aggressivere Erkrankung darstellt als bei Erwachsenen.

Welche Fortschritte wurden in den letzten Jahrzehnten bei der Behandlung von Kinderkrebs erzielt?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Vor 50 Jahren verliefen Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zumeist noch tödlich, heute werden über 85 Prozent der Patienten geheilt, eine fantastische Erfolgsgeschichte!

Welche Herausforderungen bestehen noch immer bei der Behandlung und Heilung von Kinderkrebs?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Für eine Heilung der zumeist hochmalignen Erkrankungen müssen oftmals intensive Chemotherapien eingesetzt werden, in Abhängigkeit von der Erkrankung, ggf. kombiniert mit Operation und/oder Strahlentherapie: Das bedeutet nicht nur belastende Nebenwirkungen während der Therapie, sondern auch das Risiko für Spätfolgen.

Welche neuen Therapiemöglichkeiten und Medikamente werden derzeit erforscht, um die Heilungschancen zu verbessern?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Das ist schwer pauschal zu beantworten. Grundsätzlich versuchen wir, die oben genannten intensiven Therapien mit sog. zielgerichteten, nebenwirkungsärmeren Therapien zu ergänzen, manchmal sogar zu ersetzen, um die Spätfolgen der Therapie zu verringern.

Wie können wir die Lebensqualität von „Kinderkrebs-Überlebenden“ langfristig verbessern?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Die Lebensqualität von Langzeitüberlebenden nach einer kindlichen Krebserkrankung ist ein wichtiges Thema, das uns Kinderonkolog*innen umtreibt. Was können wir tun? Die Therapien noch besser zu stratifizieren, d.h. entsprechend des individuellen Risikoprofils die Therapien maßzuschneidern, bessere, zielgerichtete Therapien zu finden sowie die Implementierung intensiver Nachsorge- und Vorsorgeprogramme.

Wie wirkt sich der Pflegenotstand in Deutschland auf die Versorgung der Patient*innen in der Pädiatrie aus?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Eine unzureichende Versorgung durch spezialisierte, kompetente und engagierte Pflegefachkräfte bedroht die medizinische Versorgung der Kinder insgesamt, so auch in der Kinderonkologie. So müssen immer wieder Betten geschlossen werden und die jungen Patientinnen und Patienten weiterverlegt werden. Das gefährdet die Heilungschancen auch der krebskranken Kinder.

Welche Maßnahmen braucht es hier am dringendsten?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Das Fach Pflege muss attraktiv gemacht werden. Es ist ein toller Beruf, der finanziell und gesellschaftlich entsprechend seiner Bedeutung anerkannt sein muss.

Wie können Privatpersonen und Unternehmen am besten zur Unterstützung von krebskranken Kindern und Jugendlichen beitragen?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Bürgerschaftliches Engagement hat die Kinderonkologie seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entscheidend vorangebracht. So sind eine angemessene psychosoziale Betreuung während der Therapie und viele Fortschritte in der Kinderkrebsforschung ganz besonders auch dem Einsatz von ehrenamtlichen Initiativen zu verdanken. Dafür sind wir Kinderonkolog*innen dankbar. Und hier kann noch sehr viel optimiert werden!

Welche Rolle spielen Organisationen (wie z.B. die Stiftung AKM) in Ihrem beruflichen Kontext?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Ambulante Hospize sind aus einer professionellen Versorgung nicht mehr wegzudenken, und insbesondere die Stiftung AKM hat hier deutschlandweit Maßstäbe in der Versorgung gesetzt. Die Begleitung von Familien mit unheilbar und lebensbedrohlich erkrankten Kindern zuhause ist zur Unterstützung der Kliniken in der Betreuung der Kinder nicht mehr wegzudenken.

Was geben Sie Kindern (und deren Familien) grundsätzlich mit auf den Weg?

Prof. Dr. Michaela Nathrath: Trotz der schwierigen Diagnose erst mal optimistisch zu bleiben, das Leben so normal wie möglich zu leben, die schönen Momente des kostbaren Alltags zu genießen und sich bei Bedarf rechtzeitig professionelle psychosoziale Unterstützung zu suchen.

Wir danken für das Gespräch und das jahrelange, unermüdliche Engagement von Prof. Dr. Michaela Nathrath – auch für die Belange der Stiftung AKM! 

Prof. Dr. Michaela Nathrath, Chefärztin der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Psychosomatik und Systemerkrankungen am Klinikum Kassel, Foto: GNH
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