Unsere Kleine ist immer kraftvoll und fröhlich
Dass so etwas Selbstverständliches wie „Essen“ bei uns einmal so ein großes Thema wird, hätten wir uns niemals vorstellen können. Unsere Tochter kam im April 2018 einige Tage über Termin, reif und relativ komplikationslos zur Welt – unser Sohn war damals etwas über 2 Jahre alt – und unser Glück schien perfekt. Leider verlagerte sich unser Familienleben nach zwei Wochen in diverse Krankenhäuser und unsere Tochter wurde mit 4 und 8 Wochen am Kehlkopf operiert und sondiert. Ursache war eine Verengung am Kehlkopf, durch die sie schwer Luft bekam, sie trank schlecht, spuckte viel. Die Eingriffe verbesserten die Atmung immens – aber die Trinkschwäche blieb. Und wir bekamen unsere Tochter mit der nasalen Magensonde nach Hause. Ab dann drehte sich alles nur noch um die Ernährung unserer Tochter: stillen, abpumpen, sondieren, auskochen, Wäsche von Kind und Bett erneuern und wieder von vorne.
Es ist schwierig, die Gefühle und Ängste in Worte zu fassen, wenn man realisiert, dass man sein Kind nicht ernähren kann. Essen war für uns immer etwas so Normales und Selbstverständliches – und plötzlich dreht sich 24 Stunden am Tag alles um die Angst, mein Kind könnte verhungern, wenn sie diesen Schlauch nicht in der Nase hätte.
Es folgte ein sehr langer und sehr steiniger Weg mit drei wochenlangen Aufenthalten in der „Fütterklinik“, schlimmen Gewissensbissen, nicht für den „Großen“ da sein zu können (der die Mama mit seinen 2,5 Jahren in der Zeit auch noch mehr gebraucht hätte, als sie für ihn da sein konnte) und vor allem vielen Ängsten und Sorgen. Jeder Aufenthalt hieß erstmal Gewichtsabnahme (von einem sowieso schon sehr leichten Kind) und schürte die Angst um das „Durchkommen“ weiter. Aber wir machten immer wieder kleine Fortschritte. Unsere Maus war inzwischen von der Sonde entwöhnt, das Essen und Trinken blieb aber eine Herausforderung. Und so kamen wir zum ersten Mal in Kontakt mit dem AKM. Wir erfuhren, dass wir bei Bedarf die Nachsorge des AKM für die Zeit nach der Entlassung in Anspruch nehmen dürfen. Was für eine Erleichterung! Da unsere Nachsorgeschwester selbst jahrelang auf der Station der Kinderklinik gearbeitet hat, in der wir in Summe über drei Monate waren, konnten wir uns keine bessere Unterstützung wünschen. Wir sind teilweise extrem an unsere Grenzen gekommen, wurden aber von unserer Nachsorgeschwester des AKM immer wieder aufgefangen, ernst genommen, ermutigt, bestärkt und mit vielen praktischen Tipps versorgt. Es ist schön zu wissen, dass immer jemand da ist, wenn es brenzlig wird. Zudem läuft die Abstimmung mit der Klinik perfekt und bei den regelmäßigen Besuchen können wir immer wieder neue Kraft schöpfen und unseren Akku ein bisschen aufladen.
Achtsam, kraftvoll, mutig
Achtsam
Was man in dem Trubel um die Krankheit des Kindes oft komplett vergisst, das ist die Selbstachtsamkeit. Dabei ist es so wichtig, auf sich selbst zu achten. Nur wenn es einem selbst einigermaßen gut geht, kann man sich auch gut um andere kümmern. Ich hatte meine eigene Gesundheit komplett ignoriert – bis es mich eingeholt hat. Seit ich wieder achtsam mit mir umgehe, geht es uns allen besser.
Ich hatte auch schon immer eine Dankbarkeit für gewisse kleine, schöne Momente. Doch die Erfahrungen mit unserem Kind haben mir nochmal bewusster gemacht, wie schnell sich Dinge ändern können oder anders laufen als geplant. Und wie wichtig es ist, dass Hier und Jetzt, die schönen Dinge und Momente zu genießen. Achtsam durchs Leben zu gehen, auch in Bezug auf andere Menschen. Jeder hat seinen „Rucksack“ zu tragen. Wir hatten es in den letzten Monaten nicht einfach, aber ich habe in der Zeit in den Kliniken so viel schlimme Geschichten gehört und gesehen – und gelernt, dass das wichtigste eine positive innere Einstellung ist. Da können wir uns von unseren Kindern noch viel abschauen.
Kraftvoll
Wir als Eltern waren leider immer wieder eher kraftlos. Man kann ja aus der Situation nicht ausbrechen. Das Thema Füttern holt einen unweigerlich alle paar Stunden wieder ein, man kann nicht einfach mal Pause machen. Unsere Tochter dagegen war immer kraftvoll. Auch mit wenig / nicht essen. An vielen Tagen mussten wir bangen, dass sie 200-300ml zu sich nimmt. Andere Kinder würden in den Seilen hängen. Sie war weiter kraftvoll und fröhlich, während wir an unsere Grenzen kamen. Im Januar hatte sie den RS-Virus und wir mussten ins Krankenhaus. Ich musste fast darum kämpfen, dass sie nach einem Tag leeren Windeln Flüssigkeit bekommt, weil man ihr die Schwere der Krankheit kaum angemerkt hat. Meine Tochter ist die kraftvollste Person, die ich bisher kennengelernt habe. Sie strahlt fast den ganzen Tag und wickelt jeden mit ihrem Charme um den Finger – auch wenn sie mal krank ist oder eigentlich wenig Energie haben müsste. Wenn wir den Blick von der Essproblematik abwenden und auf unsere Tochter als Person schauen, können auch wir aus ihr wieder neue Kraft schöpfen.
Mutig
Es hat uns schon Mut gekostet, Hilfe anzunehmen. „Es ist noch kein Kind verhungert“, „Die nimmt sich schon, was sie braucht“. Die Tipps aus dem eigenen Umfeld waren nett gemeint, aber nicht so hilfreich. Also haben wir doch den Mut gefunden, uns professionelle Hilfe zu holen. Und es war ein Prozess, diese auch 100% anzunehmen. Man wird ja wohl sein Kind ernähren können?! Manchmal braucht es mehrere Anläufe. Und beim 3. Anlauf waren wir dann mutig genug, uns ganz darauf einzulassen – und haben große Fortschritte gemacht. Und unsere Tochter belohnt uns mit ihrem Mut, immer mehr Neues zu probieren, was wir nicht für möglich gehalten hätten.
Essen wird ein Thema bleiben, aber es nimmt nicht mehr den kompletten Raum ein.
Wir sind glücklich und dankbar, dass unsere Nachsorgeschwester uns vor allem in unachtsamen, kraftlosen und ängstlichen Momenten wieder auffängt und bestärkt, so dass wir dank der Hilfe des AKM jetzt wieder achtsam, kraftvoll und mutig in die Zukunft blicken können.