Wenn ein Elternteil schwer erkrankt

Wenn ein Elternteil schwer erkrankt

Seit 2016 unterstützen wir im Sinne der Kindeswohlsicherung auch Familien mit lebensbedrohlich oder lebensverkürzend erkrankten Eltern, in deren Haushalt Minderjährige leben. Wir schließen damit eine wichtige Versorgungslücke. Und der Bedarf ist groß: Im vergangenen Jahr waren rund 20 % der von der Stiftung AKM betreuten Patient*innen schwer erkrankte Elternteile. Nach sieben Monaten in 2021 zeichnet sich ab, dass dieser Anteil in diesem Jahr noch weiter wachsen wird. Denn die Probleme, die eine schwere Erkrankung eines Elternteils mit sich bringt, sind sehr vielseitig und weitreichend für das gesamte Familiensystem.

Manuel Fritzsch, Bereichsleiter des Familienbegleitenden Kinderhospizdienstes in der Stiftung AKM, erzählt heute im Interview über diesen wichtigen Aspekt der Arbeit.

 

Wie kam es dazu, dass wir von der Stiftung AKM auch schwer erkrankte Elternteile betreuen?

„Durch unsere Arbeit in den Familien haben wir auch über unsere Netzwerkarbeit festgestellt, dass nicht nur erkrankte Kinder Unterstützung benötigen, sondern dass Kinder auch Hilfe brauchen, wenn die Eltern schwer erkrankt sind. Hier sind die Werte, die wir als Stiftung vertreten – ein möglichst normales Leben führen, gesellschaftliche Teilhabe und Familienzeit – extrem gefährdet.

Deshalb hat das AKM beschlossen, dass wir die Patientengruppe erweitern müssen. Um Kindern, deren Elternteil schwer erkrankt ist, auch noch eine normale Kindheit zu ermöglichen und dort unterstützend eingreifen zu können. Die steigenden Zahlen in diesem Bereich belegen, wie wichtig es ist, dass wir diese Patientengruppe auch betreuen.“

Wie unterscheidet sich die Arbeit in der Betreuung von Kindern und Erwachsenen?

„Wir verfolgen einen systemischen Ansatz in unserer Arbeit: Wenn ein Kind schwer erkrankt, dann wird bei uns nicht nur das kranke Kind betreut, sondern auch Geschwisterkinder und Eltern. Wenn ein Elternteil schwer erkrankt, ändert sich das System – dann gibt es noch einen Ehepartner, die Arbeit, die mit reinspielt, und eben die Kinder dazu. Das macht die Arbeit, je nach Familiensystem und -situation komplexer und verschiebt die Schwerpunktsetzung, ohne dass die Kinder aus dem Fokus geraten.

Da geht es dann auch um Themen wie Nachlass, Erbe oder „was hinterlasse ich meinen Kindern“? Wir haben zum Beispiel Erwachsene, die gerne ein „Lebensbuch“ für ihre Kinder schreiben würden. Andere wollen gerne Audiodateien für ihre Kinder aufzeichnen. Das Thema „Letzte Wünsche“ und „Hinterlassenschaft für die Kinder“ ist da ein wichtiger Aspekt, den wir in der Patientengruppe der Kinder natürlich nicht haben.“

Gibt es besondere Herausforderungen mit erkrankten Eltern?

„Es sind „erwachsenere Probleme“, mit denen wir es hier zu tun haben. Bei schwer erkrankten Eltern kommt unserer Angehörigen- und Pflegeberatung eine große Bedeutung zu: Da geht es um Haushaltshilfen, Krankenkassenzuschüsse, Frühverrentungen oder Lebensversicherung. Der Aspekt der sozialrechtlichen Themen ist hier also viel weiter gefasst. Dabei stehen gerade das Thema Nachlass und die Sorge um die Kinder im Vordergrund. Gedanken wie „Was ist mit dem Kind, wenn ich nicht mehr bin?“ oder „Ich bin im Krankenhaus, mein*e Partner*in ist extrem stark belastet und ich habe noch meinen Sohn oder meine Tochter – ich habe Angst, dass ich dem nicht mehr gerecht werde“ umtreiben die Menschen.

Genau hier greifen wir ein und sorgen für Entlastung. Wir versuchen, den Betroffenen zumindest diese Sorgen zu nehmen, damit sie sich einerseits auf die Therapie konzentrieren und andererseits die Kinder „die Tage mit Leben füllen“ können. Wir schicken Ehrenamtliche Familienbegleiter*innen, Psycholog*innen und sorgen für weitere sozialpsychologische Unterstützung. Je nachdem, was gewünscht ist und benötigt wird.“

Und die Familie entscheidet selbst, welche Unterstützung sie in Anspruch nimmt?

„Ja, das ist ein ganz wichtiger Aspekt unserer Arbeit. Wir handeln immer nach der Maßgabe „Was möchte und braucht die Familie?“. Nach der Diagnose, wenn es unklar ist, wie es weitergeht, unterstützen wir immer nach Maßgabe der Familie. Wir sprechen als erstes mit der Familie und klären, was der Wunsch ist und was wir leisten können. Wir sind zeitlich flexibel aufsuchend tätig und nicht an feste Zeiten gebunden. Und wir können ganz individuell auf die Bedarfe reagieren und kommen genau dann, wenn die Familie es möchte. Und je nach Bedarf können wir die verschiedenen Fachbereiche hinzuziehen – neben dem Kinderhospizdienst mit einer Familienbegleitung kann dies zum Beispiel auch die Angehörigenberatung, die Therapeutische Kurzintervention oder die Teilhabeorientierten Nachsorge sein. Je nachdem, was die Familie braucht.“

 

Herzlichen Dank für das Interview und die Einblicke, lieber Manuel!

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